„Man muss pragmatisch sein, anstatt sich in Ablehnung zu verschanzen.“
Kann man von Bitcoin überzeugt und dennoch offen für einen digitalen Euro sein? Jonas Gross meint ja. Er ist Vorsitzender der Digital Euro Association und diskutiert als solcher mit Notenbanken die Konzeption eines digitalen Euro. Im Interview erzählt er uns mehr darüber.
Hallo Jonas! Was meinst du, wird die EU in absehbarer Zeit eine digitale Zentralbankwährung (CBDC), also einen digitalen Euro, bekommen?
Wenn alles läuft, wie die Europäische Zentralbank (EZB) es sich vorstellt, ja. Aber das wird nicht vor 2029 so weit sein. Die Regulatorik ist noch in der Mache, es wird aufgrund der Europawahl in diesem Jahr neue Gremien und Verhandlungen geben. Daher kann es sein, dass sich der Zeitpunkt noch weiter verschiebt.
Wozu braucht die EU denn einen digitalen Euro? Würden nicht auch Stablecoins ausreichen oder sogar besser funktionieren?
Das ist die Frage aller Fragen. Die stelle ich Notenbanken auch immer wieder. Die EZB argumentiert, sie braucht einen digitalen Euro, weil Zahlungen immer digitaler werden. Man möchte eine digitale Form von Bargeld, also digitales Zentralbankgeld – bisher gibt es Zentralbankgeld ja nur in physischer Form, etwa als Banknoten und Münzen. Außerdem möchte man eine europäische Zahlungsinfrastruktur schaffen, die unabhängig von anderen Ländern ist, wie z.B. den USA. Das sind die offiziellen Ziele.
Ich unterstütze das zweite Argument: Man braucht ein unabhängiges, europäisches digitales Zahlungssystem. Bisher sind wir bei Zahlungen von Unternehmen der USA abhängig, wie z.B. Kreditkartenunternehmen, PayPal und Co. Ich denke aber auch, dass man dafür nicht notwendigerweise einen digitalen Euro braucht, es gibt auch Systeme, wie in Brasilien, die auf Echtzeitzahlungen in Giralgeld funktionieren und keine neue Geldform – in Form einer CBDC – erfordern.
Wichtiger ist mir aber die Privatsphäre. Wenn er richtig ausgestaltet ist, kann ein digitaler Euro die Privatsphäre gegenüber anderen elektronischen Transaktionen, etwa Überweisungen oder Kreditkarten, stärken. Das ist möglich, und die EZB hat das auch vor. Das wäre auch ein Vorteil gegenüber Stablecoins, die ja sehr transparent sind.
Welche Rolle spielen Smart Contracts?
Darüber ist man noch gespalten. Die EU- Kommission möchte den digitalen Euro in der Form, dass er auch Industrie 4.0-Anwendungen und Smart Contracts unterstützt. Für die EZB ist das dagegen kein großes Thema. Sie will Smart Contracts nicht in der Base-Layer, sondern dass private Akteure wie Banken oder Fintechs darauf aufbauen. Ich finde das einen guten Ansatz.
Wie sollte der digitale Euro deiner Ansicht nach gestaltet sein?
Ich denke, es gibt im Finanzsystem Lücken, die man mit dem digitalen Euro schließen kann, wenn man ihn richtig gestaltet. Eine davon ist für mich die Privatsphäre. Damit steht und fällt sehr viel.
Ich habe vor wenigen Jahren gemeinsam mit Ko-Autoren im Rahmen meiner Promotion eine CBDC-Lösung durch Zero-Knowledge-Proofs vorgeschlagen, in Verbindung mit Verifiable Credentials für die datenarme, private Identifizierung. Zahlreiche Zentralbanken haben sich das angehört, scheinen sich aber nun für eine Hardware-Lösung zu entschieden – so auch die EZB.
Wie soll diese funktionieren?
Es soll einen Online-Digitalen Euro und einen Offline-Digitalen-Euro geben. Der Offline-Euro wird die Privatsphäre über eine sichere Hardware schützen, eine Art Chipkarte, z.B. im Smartphone. Man kann die Funktionsweise grob mit der von Bargeld heute vergleichen: Man hebt Bargeld ab, und danach kann keiner mehr verfolgen, was man macht. So ähnlich soll es auch mit dem Offline-Digitalen-Euro sein: Man hat Euro auf einer Online-Wallet, und wenn man sie auf eine Offline-Wallet sendet, kann man anonym überweisen. Natürlich in Grenzen, strengen Grenzen.
Wird der Bürger dabei ein Konto direkt bei der EZB haben?
Letztendlich hält der Endnutzer Zentralbankgeld, hat also Zugang zur EZB-Bilanz. Allerdings soll der digitale Euro nicht direkt über die EZB sondern über Banken verteilt werden, eventuell auch über weitere Player wie die die Post. Intermediäre wie Banken werden nicht, oder nur in sehr geringem Umfang, ausgeschaltet.
Die meisten Bitcoiner verbinden mit einer CBDC eher dystopische Vorstellungen. Fehlt ihnen da das Verständnis, oder gibt es tiefere Gründe?
Ein wenig mehr Offenheit und Verständnis würden der Szene nicht schaden. Aber natürlich wird vieles von den Details abhängen, etwa wie hoch das Limit für Offline-Zahlungen mit dem digitalen Euro ist und welche Daten bei Transaktionen genau ausgetauscht werden. Allerdings gibt es sicherlich auch Punkte, die Bitcoiner zurecht kritisieren, wie dass sich Gesetze rund um den digitalen Euro im Rahmen eines politischen Prozesses über die Jahre hinweg ändern lassen. So funktioniert eine Demokratie eben.
Du kämpfst nun dafür, die beste CBDC zu bekommen, die unter diesen Umständen möglich ist. Wirst du dafür in der Szene angefeindet?
Teilweise schon. Viele haben den Eindruck, ich pushe einen digitalen Euro, was Bitcoiner natürlich kritisch sehen. Aber wenn ich dann erkläre, dass ich selbst eher skeptisch bin und versuche, mich für einen “richtig ausgestalteten” digitalen Euro einzusetzen, der wichtige Grundrechte, wie die Privatsphäre, schützt, verstehen und respektieren das viele. Man muss pragmatisch sein, anstatt sich in Ablehnung zu verschanzen.
Wird die EZB überhaupt in der Lage sein, ein konkurrenzfähiges Produkt zu entwickeln?
Die EZB hat inzwischen ein großes Team mit Experten und die Unterstützung der nationalen Zentralbanken. Aber am Ende hängt es neben den Produkteigenschaften – z.B. dem Grad der Privatsphäre – auch davon ab, wie gut die Nutzer-Erfahrung wird, und hier wird es ein Zusammenspiel aus EZB und dem Privatsektor geben.
Die EZB ist ja keine Product Company. Sie betreibt Zahlungssysteme, aber das ist etwas anderes als ein Produkt für den Endnutzer. Eine lange Zeit hatte man nur die Zentralbankbrille auf, aber langsam scheint sich das zu ändern, da man z.B. auch explizite Rollen für die Ausgestaltung des digitalen Euro besetzt hat. Anfang des Jahres hat die EZB auch Aufträge für Unternehmen ausgeschrieben.
Wie konkurrenzfähig das Produkt am Ende ist, wird von vielem abhängen. Für mich ist die Privatsphäre entscheidend, also auch die Limits für Offline-Transaktionen.
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